„Volksbegehren Arbeitslosengeld RAUF“

„Arbeitslosengeld RAUF“ – unter diesem Titel startete am 1. Juni 2021 ein Volksbegehren, das ein Anheben des Arbeitslosengeldes auf 70% des letzten Gehalts fordert.
Die Liste der Unterstützer:innen ist bunt: Sozialwissenschafter:innen, Aktivist:innen, Sozialdemokrat:innen, aber auch der Regierung nahestehende Christ- und Grüne-Gewerkschafter:innen unterstützen den Aufruf. 

„Arbeitslosigkeit ist kein individuelles Problem“,

erklärt Sozialforscher Emmerich Tálos. Das hat man schon bei der Einführung des Arbeitslosengeldes 1920 verstanden. Seither hat es sich zum Kern des österreichischen Sozialstaats entwickelt. Heute versucht die Regierung, die Debatte zu verschieben.

„Nicht die Krisenfolgen seien Schuld an der Arbeitslosigkeit, sondern die Arbeitsunwilligkeit“,

will uns die Regierung weismachen. Aber das ist falsch, sagt Tálos. Während man nun abermals über Kürzungen und Verschärfungen diskutiert, will das Volksbegehren das Gegenteil erreichen: Das Arbeitslosengeld erhöhen.
„PURE VERZWEIFLUNG“: PLÖTZLICH NUR NOCH HALB SO VIEL GELD ZUR VERFÜGUNG
Wie hart die Arbeitnehmer:innen unter der Krise gelitten haben, weiß der Betriebsrat und Christgewerkschafter Norbert Bauer. Er arbeitet in einem großen Wiener Hotel. In der Branche liegt der Mindestlohn für ungelerntes Personal bei etwa 1.500 Euro brutto, bei Facharbeiter:innen aber auch nur bei 1.700 Euro. Viele Kolleg:innen hatten demnach in der Kurzarbeit Probleme, mit 80 bzw. 90 Prozent über die Runden zu kommen. Wenn er ihnen heute erklären muss, dass es demnächst vielleicht überhaupt nur mehr das Arbeitslosengeld von 55 Prozent gibt, sieht er „in ihren Augen die pure Verzweiflung“. 55 Prozent von 1.500 Euro – „Das ist schlicht unwürdig!“
„FRÜHER HIESS REFORM NOCH VERBESSERUNG, HEUTE HEISST ES SOZIALABBAU“
Wenn von Seiten des AMS und des ÖVP-Wirtschaftsbundes ein „degressives Modell“ gefordert wird, dann heißt das Leistungskürzungen. Geht es nach den ÖVP-Unternehmern, sollen Arbeitslose in letzter Konsequenz überhaupt nur mehr 40 Prozent ihres letzten Einkommens bekommen. Dazu kommen „Zumutbarkeitsbestimmungen“, die eigentlich nicht zumutbar sind.

„Wenn einer gelernten Kellnerin mit Kind aus Wien ein Job in Tirol angeboten wird, wie soll sie den annehmen? Mit dem Vorschlag ist sie demnach gezwungen zu entscheiden, ob sie die Obsorge für ihr Kind oder Arbeit hat“,

sagt die Sozialwissenschafterin Irina Vano. Auch sie unterstützt das Begehren. Sie findet: „Es braucht Politik, die Arbeitslosigkeit angeht, nicht Arbeitslose.“
„Früher hieß Reform noch Verbesserung, heute heißt es Sozialabbau“ sagt Prof. Tálos. Mit ihrem Reform-Vorschlag versuchen sie, das alte Paradigma wieder herzustellen.
ARBEITSLOSENGELD SCHON JETZT NICHT EXISTENZSICHERND
Die staatlich anerkannte Schuldnerberatung hat berechnet, dass eine Einzelperson 1.426 Euro im Monat braucht, um über die Runden zu kommen. Arbeitslose in Österreich bekommen aber im Schnitt nur 843 Euro im Monat. „Das macht ein monatliches Defizit von 583 Euro.“, sagt Anna Daimler von der Gewerkschaft vida. Damit ist Erspartes schnell aufgebraucht. Bereits in den 90er Jahren hatte Emmerich Tálos in einer Studie erhoben, dass bei 19 Prozent der Arbeitslosen nach 1-5 Monaten das Ersparte verbraucht ist und die Armutsgefährdung beginnt. Bei der großen Mehrheit spätestens nach einem Jahr. Mit der finanziellen Armut geht auch eine soziale Armut einher. Man kann kaum am gesellschaftlichen Leben teilhaben – dazu kommt die Scham.

„Arbeitslosigkeit ist heute Teil des Erwerbslebens geworden. Die Karriere von der Lehre bis zur Pension in einem Betrieb gibt es nicht mehr,“

sagt Anna Daimler von der vida. Mehr Druck und weniger Arbeitslosengeld führt Menschen nicht schneller in gute Jobs – sondern drängt sie in schlechte. Johann Zulijevic-Salomen hat aus der Arbeitslosigkeit heraus ein Unternehmen gegründet und heute – 20 Jahre später – 70 MitarbeiterInnen. Ein Vorstellungsgespräch, wo jemand nur den „Stempel“ fürs AMS wollte, hat er trotz hunderter Gespräche noch nicht erlebt. Menschen wollen sich einbringen, einen Beitrag leisten – und sie wollen ihre Zukunft planen können. Das geht nur mit einer gewissen Sicherheit im Leben.
„Wenn wir eine echte Existenzsicherung haben, haben die Menschen genug Zeit, sich zu sortieren und ihr Leben sinnvoll zu planen.“ sagt Zulijevic-Salomen.
0,79 EURO PRO KIND PRO TAG
Gegner eines höheren Arbeitslosengeldes, wie AMS-Chef Kopf, weisen gerne auf weitere Zulagen hin, die es schon gäbe. Das aber sei viel zu wenig. Pro Kind beispielsweise 0,79 Euro am Tag:
„Wie verpflegen Sie ein Kind für unter einem Euro am Tag?“, fragt Irina Vana. „Wenn es so weiter geht, brauchen wir mehr Brücken in Österreich unter denen die Menschen schlafen können“, sagt Regina Amer. Sie arbeitet jetzt in der Pension ehrenamtlich für den Verein HOPE, der mit Obdachlosen arbeitet. Sie weiß, was Arbeitslosigkeit bedeutet – und zwar aus eigener Erfahrung. Sie erinnert sich:

„Mir wurden mit 60 Jahren Jobs mit einem Gehalt von 780 Euro Vollzeit angeboten. Mit 30 habe ich in Teilzeit mehr verdient.“

AUCH GRÜNE GEWERKSCHAFTER UND KATHOLISCHE ARBEITNEHMER TROMMELN FÜR VOLKSBEGEHREN
„Wir feiern dieses Jahr 130 Jahre katholische Soziallehre“, sagt Gabrielle Kienesberger, Generalsekretärin der Katholischen Arbeitnehmer Bewegung (KAB). Zwei Lehren davon sind die Menschenwürde und die Solidarität. Deshalb wollen auch sie ein höheres Arbeitslosengeld. Sie geht einen Schritt weiter. „Wir müssen auch über Reichtum reden. Wir müssen diese Solidarität einfordern.“ Bezahlen dürfen das nicht die ArbeitnehmerInnen alleine. Der grüne Gewerkschafter Markus Gstöttner betont, dass seine gesamte Organisation (AUGE-UG) hinter den Forderungen des Begehrens stehe.
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